Der lebendige Stern

Stefan Adolf

Der lebendige Stern

Der lebendige Stern

Im Jahr 1892 lag Bamberg unter einem klaren Nachthimmel. Die Sterne funkelten wie tausend kleine Diamanten – ein Anblick, den Dana, ein zehnjähriges Mädchen mit einem unermüdlichen Drang nach Abenteuern, oft bewunderte. Sie saß auf der Fensterbank ihres Zimmers, als ein plötzlicher Lichtblitz den Himmel zerriss. Ein Stern – nein, ein Meteorit – stürzte mit einem goldenen Schweif herab und verschwand hinter den Hügeln am Horizont.

Danach kehrte Stille ein, aber Dana’s Herz raste. Etwas an diesem Licht hatte sie gerufen. Sie wusste: Das war nicht bloß ein Stein aus dem All. Ihre Familie war schon zu Bett gegangen, doch Dana konnte nicht warten. Sie schlich sich leise aus dem Haus, zog ihre Schuhe an und nahm eine Laterne, die neben der Tür stand. Mit schnellen, leisen Schritten huschte sie durch die dunklen Gassen der Stadt und dann hinaus aufs Feld.

Der Weg war steinig und beschwerlich, doch Dana spürte, dass sie nicht aufgeben durfte. Der Schein des Mondes half ihr, den Pfad zu finden, bis sie an eine Lichtung kam. Dort, inmitten des Grases, lag eine seltsame Gestalt – der Stern. Aber es war kein Stein, wie sie erwartet hatte. Es war lebendig.

Eine leuchtende Kugel, kaum größer als ein Medizinball, schwebte knapp über dem Boden. Sie pulsierte in sanften Farben – Gold, Blau, Violett – und verströmte eine wärmende Energie. Dana stand reglos da, unfähig, den Blick abzuwenden. Plötzlich vernahm sie eine Stimme, leise und melodisch, als würde sie direkt in ihrem Kopf sprechen.

„Du hast mich gefunden, Dana.“

„Du… kannst sprechen?“, flüsterte sie, ihre Stimme zitternd vor Ehrfurcht.

„Ich bin Solara“, antwortete die Kugel. „Ich bin hierher gekommen, weil ich dich brauche.“

„Mich?“, fragte Dana, und ihre Angst verwandelte sich langsam in Neugier. „Wofür?“

Solara erklärte, dass sie aus einer fernen Welt stammte, einer Welt, die von Dunkelheit bedroht wurde. „Die Menschen deiner Welt haben besondere Herzen“, sagte Solara. „Eins von ihnen kann die Dunkelheit vertreiben. Ich glaube, deines ist eines davon.“

Bevor Dana antworten konnte, umhüllte Solara sie mit einem goldenen Licht. Die Erde unter ihren Füßen verschwand, und plötzlich schwebten sie zwischen Sternen und Galaxien. Dana’s Atem stockte, als sie Planeten sah, die in unvorstellbaren Farben leuchteten, und Sternennebel, die wie tanzende Flüssigkeiten wirkten. Es war wunderschön, aber sie spürte auch eine drohende Kälte, die sich von weit her näherte.

Sie landeten in einer Welt aus Kristallen, die das Licht der Sterne einfingen und reflektierten. Doch am Horizont kroch ein schwarzer Nebel voran, der alles verschlang. Die Luft war von einer bedrückenden Stille erfüllt.

„Was kann ich tun?“, fragte Dana mutig.

Solara schwebte nah an sie heran. „Du musst dir selbst vertrauen. Deine innere Kraft ist der Schlüssel. Fühle die Verbindung zu den Sternen und lass dein Licht leuchten.“

Dana wusste nicht, was das bedeutete, aber sie spürte eine Hitze in ihrer Brust, ein warmes Pulsieren. Sie schloss die Augen und dachte an die Sterne – ihre Klarheit, ihre Unendlichkeit. Plötzlich wurde sie selbst von einem Licht umgeben, das so hell war, dass es den schwarzen Nebel in die Flucht schlug. Die Dunkelheit wich zurück, und die Welt erstrahlte in neuer Pracht.

Die Kristalle, die zuvor in stummen Farben geleuchtet hatten, erwachten nun zum Leben. Sie begannen zu singen – ein Lied, das in einer fremden Sprache erklang, aber dennoch eine warme Vertrautheit ausstrahlte. Dana spürte, dass sie Teil von etwas Größerem war. Die Dunkelheit war besiegt, aber sie wusste, dass dies nur der Anfang ihrer Reise war.

Solara schwebte zu ihr hinüber, ihre Farben nun strahlender denn je. „Dana, dein Herz hat eine Kraft, die selbst ich nicht ganz verstehe. Doch ich bin sicher, dass die Sterne selbst dich gewählt haben. Deine Reise ist noch nicht vorbei.“

Plötzlich zerriss ein neuer Lichtblitz die Luft, und vor Dana erschien ein Portal. Es sah aus wie ein Wirbel aus Licht und Schatten, der unendlich tief zu sein schien. „Das Tor wird dich zu einer weiteren Welt führen. Bist du bereit?“

Dana zögerte nicht. Sie spürte, dass dies ihre Bestimmung war. Sie trat durch das Portal und fand sich in einer Welt wieder, die noch bizarrer war als die Kristallwelt. Hier schwebten Inseln im Nichts, verbunden durch Brücken aus Licht. Der Himmel war in ständiger Bewegung, mit Wolken, die wie flüssiges Gold flossen, und Vögeln, die aus reinem Licht bestanden.

Dana ging vorsichtig über eine der Brücken und spürte, wie sich die Energie der Umgebung mit ihrer eigenen vermischte. Solara folgte ihr, still und wachsam. Plötzlich tauchte eine neue Gestalt auf. Es war ein Wesen, halb Schatten, halb Licht, mit einer prächtigen, aber unheilvollen Aura.

„Wer wagt es, mein Reich zu betreten?“, donnerte die Stimme des Wesens. Dana spürte, wie der Boden unter ihr bebte, doch sie trat mutig vor.

„Ich bin Dana“, sagte sie mit fester Stimme. „Ich bin hier, um die Dunkelheit zu bekämpfen und das Licht zu bewahren.“

Das Wesen lachte, ein tiefer, dröhnender Klang, der die Luft zu füllen schien. „Du bist nur ein Kind. Glaubst du wirklich, dass du mich aufhalten kannst?“

Dana spürte Solara’s Energie an ihrer Seite und erinnerte sich an die Worte des Sterns. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich erneut auf das Licht in ihrem Inneren. Es flammte auf, heller und intensiver als je zuvor. Als sie die Augen öffnete, war ihr ganzer Körper in Licht gehüllt.

Das Wesen wich zurück, doch es gab nicht auf. Es formte Schatten, die sich wie Tentakel auf Dana zubewegten. Sie hob ihre Hand, und ein Strahl aus reinem Licht durchbrach die Dunkelheit. Es war ein erbitterter Kampf, doch Dana’s Entschlossenheit war unerschütterlich.

Schließlich begann das Wesen zu zerfallen. Die Schatten wichen, und die Welt wurde wieder heller. Dana spürte eine unglaubliche Erleichterung, aber auch eine tiefe Erschöpfung. Solara schwebte zu ihr und sprach sanft. „Du hast es geschafft, Dana. Deine Kraft hat diese Welt gerettet.“

Bevor Dana antworten konnte, begann die Umgebung sich aufzulösen. Sie fiel in einen tiefen Schlaf und erwachte erneut in ihrem Bett. Doch dieses Mal lag etwas auf ihrem Nachttisch – ein kleiner, leuchtender Kristall. Sie hielt ihn in ihrer Hand und wusste, dass ihre Abenteuer noch nicht zu Ende waren.

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